Prüfungen im Übergang
Auch in der Lehrkräfteausbildung zeigt sich, dass Prüfungsformate aus dem Gutenberg- Zeitalter nur eingeschränkt kompatibel sind mit dem Arbeiten in der Digitalität.
In diesen Tagen beginnt an den Studienseminaren in Brandenburg ein neuer Prüfungszeitraum, der schon wie die letzten beiden von der Corona-Pandemie geprägt sein wird. Die Lehramtskandidat:innen (LAK), die jetzt antreten müssen, sind dabei nicht zu beneiden: Ausgehend von den sehr unterschiedlichen Ausbildungsvoraussetzungen an den Schulen erwarten sie unterschiedliche Prüfungssettings, die Produkte einer von Unsicherheiten, Unklarheiten und Improvisationen bestimmten Zeit sind.
Dabei lässt sich die Tatsache, dass Prüfungen rechtssicher stattfinden können, damit die LAK bald als zertifizierte Lehrkräfte in das Berufsleben einsteigen können, zunächst einmal als Erfolg verstehen. Dass viele LAK sich unter diesen Umständen eine Verlängerung ihres mit zwölf Monaten in Brandenburg zeitlich ohnehin arg eingedampften Vorbereitungsdienstes gewünscht hätten, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Aber wie läuft das nun mit den Prüfungen?
Seit knapp einem Jahr gibt es die Möglichkeit, eine Prüfungsersatzleistung (PEL) zu absolvieren, sofern eine Unterrichtshospitation im Rahmen einer Staatsprüfung pandemiebedingt nicht möglich ist. Die Bedingungen dafür sind schnell erfüllt: Eine Unterrichtsstunde ist nicht organisierbar, weil sich Lerngruppen im Distanzlernen befinden, oder es ist an der Schule nicht möglich, Fernunterricht gemäß den technischen Vorgabe des MBJS für Staatsprüfungen umzusetzen. Sollte Unterricht im Rahmen der meist üblichen 45’ mit mindestens fünf Schülerinnen und Schülern (SuS) stattfinden können, kann die Stunde im klassischen Präsenzformat Prüfungsleistung sein. Möglich ist aber auch, Distanzunterricht in diesem Format anzubieten. Es wird dann von der Schule aus unterrichtet, die Prüfungskommission sitzt mit im Raum oder nebenan und der Bildschirminhalt des Prüflings wird an die Wand projiziert. Und natürlich wird es auch Mischformen geben: Eine Stunde findet in Präsenz statt, die andere in Distanz. Oder eine Stunde findet in Präsenz bzw. Distanz statt, die andere Stunde wird durch eine PEL ersetzt. Bestimmend für die endgültige Form der Prüfung sind aktuelle Bedingungen des Infektionsschutzes, konkrete Bedingungen in den jeweiligen Fächern und Lerngruppen sowie die technischen Ausstattungen der Schulen.
Das alles verlangt den LAK einiges ab: In der PEL gibt es keine anwesende Lerngruppe, die unmittelbar spiegelt, welche wertvolle Beziehungsarbeit geleistet wurde und wird. Im Präsenzunterricht muss guter Unterricht in einem Setting verwirklicht werden, in dem kollaborative Arbeitsphasen oft kaum umsetzbar sind, wenn der Schule die technischen Voraussetzungen fehlen — von weiteren Einschränkungen ganz zu schweigen, die Masken und Abstand mit sich bringen. Die Vorgaben des Ministeriums für Unterrichtsproben im Distanzformat bergen wiederum ganz eigene Schwierigkeiten: Videokonferenzen müssen aus datenschutzrechtlichen Gründen über BigBlueButton geschaltet werden, unabhängig davon, welches VK-Tool sonst im Unterricht verwendet wurde. Abgesehen von den Performanceproblemen, die viele Schulen immer wieder mit BBB haben, könnte sich ein schwaches WLAN als weitere Hürde gestalten. In der konkreten Unterrichtsplanung ist zu berücksichtigen, dass erfahrungsgemäß gerade dann deutlich mehr Zeit benötigt wird, wenn sich die Planungen eng an gewohnten Konzepten von Präsenzunterricht orientieren. Dass einer synchron in 45’- bzw. 90’-Taktungen durchgeplante Fernlehre die im Klassenraum zur Verfügung stehenden Mittel der Kontrolle weitgehend fehlen, mag eine zusätzliche Hypothek für die Prüfungen bedeuten: Zuviel Steuerung und fehlende Strukturen sind dann wenig lernförderliche Ergebnisse einer plandidaktiktischen Ausrichtung von Vorzeigeunterricht, deren Schwächen durch die Videokonferenz-Situation verstärkt werden. Infolge dürfte auch die aus Sicht vieler LAK größte Herausforderung dieser ganzen Veranstaltung noch einmal eine ganz neue Dimension erhalten: Die Prüfungskommission.
Was heißt das für die Ausbildenden?
Für alle genannten Prüfungskonzepte benötigen Ausbildungscoaches, Fachausbilder:innen und anleitende Lehrkräfte als Mitglieder der Prüfungskommission Rechner mit aktivem Internetzugang. Auch wenn die Unterrichtsentwürfe nach wie vor für analoge Prüfungsakten in ausgedruckter Form vorliegen müssen, können sie nur in digitaler Form rezipiert werden: Abgesehen von den vielen Quellenangaben aus dem Internet, die seit vielen Jahren Normalität sind, finden sich in aktuellen Entwürfen Pinnwände, Etherpads, Whiteboards, Abfragen etc. aus dem Netz verlinkt — und zwar unabhängig davon, ob der Unterricht in Präsenz oder als Fernunterricht geplant ist. Um ein solches Setting beurteilen zu können, müssen Hypertexte auch als solche gelesen werden. Deutlicher wird diese Notwendigkeit in der Hospitation des Unterrichts selbst: Die Beobachtung des vom Prüfling geteilten Bildschirms reicht nicht. Prüfende müssen auch einen eigenen Zugang auf die kollaborativen Arbeitsplattformen haben, müssen die Möglichkeit haben, sich auch außerhalb der vom Prüfling gewählten Perspektive ein Bild von den Arbeitsprozessen der SuS zu machen — Unterrichtshospitation im virtuellen Raum erfordert andere Zugänge auf das Geschehen als der Besuch im Klassenzimmer. Unproblematisch sind diese Zugänge allerdings nicht, denn ein den SuS fremdes Mitglied der Prüfungskommission dürfte in einem von 3–4 SuS besetzten Breakout-Room die Zusammenarbeit durchaus beeinflussen. Die Vorbereitung einer Prüfungs-Lerngruppe auf die Situation eines Staatsexamens mag hier ebenso wichtig sein wie die Bereitstellung von WLAN-Zugängen für die Prüfungskommission, denn nicht jeder Beton-Schulbau lässt mobile Daten durch. Da aber Fachausbilder:innen über keine Dienstrechner verfügen, ist nicht immer davon auszugehen, dass sich der Rechner als obligatorische Ausstattung für Unterrichtshospitationen etabliert hat. Für diesen Befund spricht weiterhin, dass der ausgedruckte Unterrichtsentwurf auch außerhalb des Staatsexamens noch vielfach als Selbstverständlichkeit gilt.
Wenn also entsprechende Vorbereitungen nicht getroffen werden oder — schlimmer — der Prüfling davon ausgeht, dass Teile der Kommission nicht bereit oder technisch nicht in der Lage sind, digitale Settings als solche zu rezipieren, zu verfolgen und kriterienorientiert zu beurteilen, könnte das verstärkt werden, was immer schon zentraler Kritikpunkt an den Vorführstunden des Staatsexamens war: Es werden praxisfremde Konzepte extra auf — möglicherweise vermeintliche — Erwartungen der Prüfenden zugeschnitten, die mit den eigenen Vorstellungen der LAK von guten Lernsettings wenig zu tun haben. Überspitzt formuliert könnte das z.B. heißen: 45’ Videokonferenz mit viel Instruktion, viel gelenktem Unterrichtsgespräch, viel Feedback von der Lehrkraft und kaum selbstständigen Aktivitäten der Lernenden, um so die Lehrkraft innerhalb der Videokonferenz als Kontrollinstanz durchgehend sichtbar zu halten. Um solches Staatsexamenstheater zu vermeiden, braucht es mediendidaktische Kompetenzen sowie einen kritischen und transparenten Umgang mit den Voraussetzungen, unter denen aktuell geprüft wird.
Ausblick
Sicher wird auch dieser Prüfungsjahrgang wieder erfolgreich abschließen. Und ich halte es für unwahrscheinlich, dass sich aus den angesprochenen Fragen in der Praxis veritable Probleme für den Ablauf der jetzt anstehenden Prüfungen ergeben werden.
Den LAK, die bundesweit mit den Besonderheiten von Ausbildung und Prüfung unter Pandemiebedingungen zu kämpfen haben, werden solche Einschätzungen kaum helfen. Zu hoffen bleibt daher, dass über die zunehmenden Widersprüche der traditionellen Prüfungspraxis nicht mehr hinweggegangen wird. Die Voraussetzungen von Digitalität für eine zukunftsorientierte Prüfungskultur nutzen zu lernen, bedeutet, dass Ausbildung in Schule und Seminar nicht nur hinsichtlich der technischen Ausstattungen zeitgemäß stattfinden kann, sondern vor allem aus mediendidaktischer Perspektive, so dass hybride Unterrichtskonzepte nicht mehr ein Wagnis für die praktische Prüfung des Staatsexamens bedeuten müssen.
Abseits von den Besonderheiten der aktuellen Situation wird zudem immer deutlicher, dass auch und gerade in der Lehrkräfteausbildung die traditionelle Prüfungskultur an sich in Frage zu stellen ist. Konkret könnte das bedeuten,
- dass Coaching und Beratung strikt von Bewertungssituationen separiert bleiben;
- dass Vornoten aus Studienseminar und Schule durch Entwicklungsgespräche ersetzt werden;
- dass auf Ziffernoten ganz verzichtet wird — für eine Eignungsprüfung reicht als Ergebnis “bestanden” oder “nicht bestanden”, ggf. noch “mit Auszeichnung bestanden”;
- dass unterrichtspraktische Prüfungen nicht mehr standardisiert die 45’-Unterrichtseinheit zum Gegenstand haben, sondern dass z.B. die Prüfungskommission den Prüfling ein bis zwei Schultage begleitet;
- dass — wie in Brandenburg bereits umgesetzt — die schriftliche Hausarbeit als Teil des Staatsexamens abgeschafft wird;
- dass E-Portfolios etwa in Form von Blogs ihre Relevanz nicht über eine summative Bewertung in der Ausbildung entfalten, sondern über den interessierten Blick der Menschen, die neue Lehrkräfte für ihre Schule suchen und letztlich auch auswählen.
Solche Veränderungen benötigen Zeit, werden aber in dieser oder anderer Form kommen, damit zukünftige Ausbildung weniger “traditionelle” Schule imitiert und damit mehr fruchtbare Lernbegleitung sein kann.
Literatur:
Klee, Wanda; Krommer, Axel, Wampfler, Philippe (Hrsg.): Hybrides Lernen. Zur Theorie und Praxis von Präsenz- und Distanzlernen. Weinheim 2021.