Booksnap und Prüfen
Überlegungen zu Björn Nöltes Ideen
Wie gewohnt ein sehr anregender Artikel von Björn Nölte — ich würde das alles gerne sofort ausprobieren. Da ich aber vollabgeordnet in der Lehrkräfteausbildung tätig bin, bleibt mir nur, mich auf die ersten Praxiserfahrungen zu freuen, von denen hoffentlich bald jemand berichten wird.
Zugegeben: ich bin etwas skeptisch, ob die von Björn zu Beginn des Artikels angesprochenen Probleme mit seinem Konzept rechtlich sicher gelöst werden können. Die summative Bewertung bezieht sich hier auf eine schriftliche Leistung, die trotz der Einbeziehung von Vorbereitungen durch Hilfestellungen von außen erheblich verbessert werden kann. Wie genau eine kriterienorientierte Bewertung der Verknüpfung von Vorarbeit und Ausarbeitung aussehen könnte, ist mir dabei auch noch nicht ganz klar.
Technische Überwachung zu Hause lehne ich wie Björn ab. Entsprechende Umsetzungen zeigen aber, wie wichtig es ist, möglichst bald zeitgemäße und praktikable Alternativen zu finden:
Sinnvoll könnte aber sein, ein Zeitfenster vorzugeben, innerhalb dessen die Aufgabe bearbeitet werden muss: Es gibt also nach dem Freigeben der Aufgabe eine Deadline für das Hochladen der fertigen Bearbeitung, so dass “illegale” Hilfsangebote auch zu einem zeitökonomischen Problem geraten können. Möglicherweise setzt Björn dies ja auch voraus. Wäre ansonsten eine Eigenständigkeitserklärung eine Lösung? Dass die SuS in jedem Fall ausreichend Zeit zur Verfügung haben sollten, ist wichtig, denn:
In “klassischen” Formaten der Leistungsüberprüfung steht die Erarbeitung im Zentrum, Vorbereitungen und Überarbeitungen werden zumeist nicht explizit berücksichtigt. Das führt dazu, dass gerade bei komplexen schriftlichen Ausarbeitungen die SuS Notizen machen und dann den Text beim Schreiben entwickeln. Björns Konzept bezieht Vorarbeiten mit ein, so dass die Leistungsüberprüfung die individuelle Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand berücksichtigt. Das bloße Auswendiglernen domänenspezifischer Wissensbestände, die dann z.B. in Aufsatz-Hinführungen weitgehend funktionsfrei reproduziert werden, wird so im besten Fall verhindert, da die Frage nach der Fundierung eigener Verstehensprozesse von Anfang an im Zentrum der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand steht.
Konsequent wäre aus meiner Sicht nun, auch die Reflexion von Überarbeitungsprozessen in den Aufgabenformaten mit einzubeziehen. Üblicherweise bleibt den SuS vielleicht noch Zeit, ihre Texte auf Orthografiefehler zu überprüfen, für eine inhaltliche Überarbeitung reicht es oft nicht mehr. Interessant wäre aber, eine solche Überarbeitung durch eine zusätzliche Aufgabe einzufordern, in der — ggf. auch exemplarisch — reflektiert werden könnte, wo ein zentraler Gedanke geändert bzw. verworfen wurde oder wo nach wie vor eine besondere Unsicherheit besteht. Beurteilungskriterium wäre die Plausibilität des Gedankengangs. Eine zeitgemäße Fehlerkultur könnte so zur Kompetenz werden, die ihren Ausdruck z.B. in der Verwendung von Kommentarfunktionen in den Textverarbeitungsprogrammen finden könnte. Optimal wäre wahrscheinlich die Verknüpfung des schriftlichen Teils mit einem mündlichen Teil, wie ja auch Facharbeiten (in BB Seminarkursarbeiten) präsentiert und “verteidigt” werden. Aber auch wenn Videokonferenzen Routine geworden sind, habe ich Zweifel, dass dies organisatorisch umsetzbar ist.
Im Zentrum von Björns Konzept steht die Booksnap-Methode, die ich wie Björn aus der Perspektive der Fächer Deutsch und Geschichte betrachte. Ich sehe da zunächst die Herausforderung, tatsächlich umfangreiche Quellen, Monografien oder zumindest Aufsätze zum Gegenstand zu machen. Gerade im Fach Geschichte wird ja eher weitgehend mit kürzeren Texten und Ausschnitten gearbeitet, wobei Unterrichtskonzepte des blended Learning hier mehr und neue Möglichkeiten bieten dürften, als das Unterrichten im 25P./90'/60qm-Korsett. Zu überlegen wäre aber, inwiefern die Visualisierungen innerhalb der Methode einen unmittelbaren und affektiven Zugang fokussieren, den zu reflektieren für SuS mehr Hürde als Hilfe darstellt. Gerade bei zeitgeschichtlichen Quellen kann ich mir vorstellen, dass bestimmte Visualisierungen von Zitaten zu einem Problem werden, wenn Inhalte und Kontexte noch nicht ausreichend durchdrungen wurden. Der Begleitung der Produktionsprozesse durch die Lehrkraft kommt somit eine besondere Bedeutung zu.
Großes Potenzial sehe ich genau aus diesen Gründen aber bei der Erschließung fiktionaler Texte: Ein Booksnap ermöglicht, den individuellen Zugang zu Roman oder Drama so zu veranschaulichen, dass er für weitere vertiefende Zugänge nutzbar gemacht werden kann. Hier kann ich mir die Methode am ehesten als vorbereitenden Teil einer Leistungsbewertung vorstellen.
Ich habe anfangs geschrieben, dass ich ein wenig skeptisch bin, was die Praktikabilität von Björns Konzept angeht. Diese Skepsis ist aber kaum vergleichbar mit der Skepsis, die ich gewissen Alternativen (s.o.) oder generell dem aktuell üblichen Prüfungswesen entgegenbringe. Ich hoffe sehr, dass sich aus neuen und innovativen Ideen langfristig Formate entwickeln, die zeitgemäßem Lernen mehr entsprechen.